Markig

In Abgründe der menschlichen Seele ist er getaucht. Drei Jahre und drei Monate hat sich Tilman Röhrig in den ersten christlichen „Gottesstaat“ hinein versetzt, physisch bis in die Toskana, rituell bis zur Nachahmung de Priesterweihe eines Dominikanerpaters. Literarische Genüsse und Humor kamen bei seiner lebhaften „LesArt“ am Montag keinesfalls zu kurz, doch konnten die Hörer in der Ansbacher Stadtbibliothek auch so betroffen machen, dass die Haare zu Berge Standen und die Wangen glühten.
Nein, was Angela Baumann, in der Einführung als Schwäche historischer Romane anführte, alle zwanzig Seiten auf eine sensationelle Stelle, wie eine Vergewaltigung hin zu schreiben, das ist Röhrigs Sache nicht. „Wir sind das Salz von Florenz“ beginnt und endet mit einer Hinrichtung, verbrämt mit grauenvollen Lustbarkeiten. Doch Seite für Seite sind die Menschen nur ein Haarbreit von der Katastrophe entfernt, ob durch Überfall, Verhaftung oder Pest. Dass Gott in dieser Situation als einziger Fels der Errettung erscheint, ist der Hintergrund für das erbarmungslose Regiment des Bußpredigers von San Marco.
Röhrig ist auch Poet. Den Horror des Mordes in der Kathedrale intensiviert er auf Shakespeare`sche Art durch den Schmerz der kauernden Witwe, die still den Kopf des geliebten Mannes im Schoße birgt. Er schlüpfte in die Rolle des Predigers, wählte beängstigende Texte aus Originalbriefen und als evangelischer Pfarrerssohn, für seine Bibelzitate ein markiges Lutherdeutsch.
Beinahe musikalische Leitmotive dienen Röhrig zur Charakterisierung seiner Hauptgestalten. Savonarola wird zum abstoßenden Monstrum auf ganz subtile Art durch das ständig variierte „Knorzen“ seiner unförmigen Nase und den Absonderungen seiner wulstigen, verkrusteten Lippen – Speichel, Schaum und Blut. Das ganze Buch durchzieht eine ominöse Kakophonie der Holzrasseln und Stummelflöten verdreckter Jugendbanden. Die missbrauchten Kinder liegen dem Autor sehr am Herzen, besonders die paramilitärischen Brigaden der „Engel“, die Jungen mit glattrasierten Schädeln, die Mädchen mit Kopftüchern und dunkler Kleidung, die im Auftrag der Patres die Eltern ausspionieren und religiös anstößige Kunstwerke und Bücher auf den Scheiterhaufen werfen. „Die Taliban haben mich während des Schreibens eingeholt“, sagt Röhrig. Die Heimkehr über den Ponte Vecchio lässt aufatmen, birgt auch eine Botschaft der Verantwortung. Das Salz der Erde sind wir.
Ingo Bathotr