Ratten in den Straßen von Florenz

Dieser Mensch ist eine angenehme Erfahrung. Er lächelt einladend mit hellen Augen. Wenn er sich umsieht, scheint er Blickkontakt zu jedem seiner Zuhörer zu suchen, und wenn er erzählt, nach Reaktionen. Er hat eine bemerkenswert freundliche Ausstrahlung. Man sollte es gar nicht glauben – angesichts der spürbaren Lust, mit der er Hässlichkeit wie Schönheit und fanatische skrupellose, befremdende Charaktere mit ihrem irritierenden Lebensgefühl beschreib. Tilman Röhrig las, eingeladen von Buchhändlerin Mila Becker, aus seinem Renaissance-Roman „Wir sind das Salz von Florenz“ vor gut 90 Gästen im Haus Voerde.
„Wir wachen auf und befinden uns im Jahr 1470“, sagte er und ließ die Zuhörer schwelgen im Flair von Florenz: Das Huschen der Ratten, das Blinken der Soldaten-Harnische, Hufschläge in den Gassen, bauschende bunte Schleier, den Geruch des leichten Frühlingswindes – Vorspiel für die Schilderung einer Hinrichtung. Er rollt das „R“ und ließ den Klang des Namens „Medici“ satt auf der Zunge zergehen.
Sanft ließ er Lorenzo di Medici sprechen, den Lebemann Giuliano liebenswürdig plaudern. Schwärmerisch hauchte er: „Welch ein Glück“, dann rang er die Hände bei Szenen von Mord und Totschlag. Rau und abgehackt skandierte er die geifernde Predigt des fanatischen Priesters Girolamo, tippt zackig auf die Buchseiten: „Ja, wehe, wehe!“ Dann ließ er den Blick in die Runde wandern und erzählte: „Ja, meine Damen und Herren, es ist ein Christ, der den ersten radikalen Gottesstaat gründet.“
Drei Jahre und drei Monate hat Tilman Röhrig an „Wir sind das Salz von Florenz“ geschrieben, erzählte er. Ein Jahr hat er recherchiert, durch „das Wühlen in Archiven und das Lesen alter Quellen.“ Eine Italien-Reise führte ihn nach Rom, Neapel oder Pisa. Um fünf Uhr früh forschte er im touristenüberlaufenen Florenz nach der Atmosphäre der Stadt. Über die Riten des Dominikanerordens wurde er von einem Wissenschaftler und Geistlichen des Ordens aufgeklärt, nachdem er den Mann „erst mal von der Ernsthaftigkeit meines Vorhabens“ überzeugen konnte.
„Bis hin zum Wetter stimmt natürlich alles in diesem Buch“ versicherte er darum: „Es hat ja immerhin ziemlich lange gedauert, bis ich das Baby zur Welt gebracht habe.“
Langen Applaus gab es Für Tilman Röhrig. Zur Diskussion kam es aber nicht mehr – statt dessen stellte sich eine lange Schlange von Zuhörern auf, die sich Bücher signieren lassen wollten.
Sina Zehrfeld