...... Tilman Röhrig hat den Historienroman des Bücherherbstes mit Fantasie und Charme geschrieben: "Riemenschneider" beleuchtet die Kunst und das Leben des berühmten Bildhauers Aus dem Meer der Neuerscheinungen aufgetaucht, lässt sich zumindest eine Sache sicher vermelden: Wir haben den prallen Historienroman des Bücherherbstes gefunden.
Tilman Röhrig, im Genre (etwa mit dem Staufer-Roman "Wie ein Lamm unter Löwen") kein Unbekannter, widmet sich einem deutschen Künstler. "Riemenschneider" heißt sein neues Werk, doch wer fürchtet, 621 Seiten lang mit den Details der Bildhauerei beladen zu werden, erhält deutliche Entwarnung. Röhrig stellt seinen Vornamensvetter zwar in den Mittelpunkt einer großen, an Wechselfällen des menschlichen Lebens nicht armen Geschichte. Doch steht Riemenschneiders Leben und Wirken nur stellvertretend für eine Epoche der Umstürze und Aufbrüche. Man erinnere sich: Zur gleichen Zeit, da das Mittelalter zur Neige geht, leben und wirken Martin Luther und Götz von Berlichingen, der Habsburger Maximilian, die Bauernheere, der Bundschuh, der "Schwarze Haufen". . . Und alle, alle spielen mit.
Bis freilich die Weltgeschichte Meister Til in ihr unerbittliches Räderwerk zieht, vergeht einige Zeit - und der gute Mann kämpft gegen die Hybris des biederen Würzburg. Eine Indiskretion hat die bessere Gesellschaft erfahren lassen, dass für die "Eva" über dem Portal der Marienkapelle eine Bäuerin Modell gesessen hat. Eva: eine Bäuerin! Das gotteslästerliche Kunstverständnis bringt Til nicht allein kulturpolitische Probleme, der Haussegen bei Riemenschneiders hängt gleichfalls schief. Und genau diese Konstellationen, zu denen ein mephistofelischer Spielmann den intriganten Takt schlägt, beherrscht Röhrig: Er zeigt Politikum und Nachttopf, Ketzerverbrennung und des einarmigen Götz Nörgelei über das miese Essen in der Haft. Fantasie ist Röhrigs Gabe. ...... Dem Charme der erfühlten Geschichte (etwa, wie er in einer köstlich ausgemalten Szene zwischen Lust und Gottesfurcht Luthers Mönchwerdung motiviert) kann man sich kaum entziehen. Riemenschneider durchlebt viele Prüfungen, darunter furchtbare. Aber sein Ende ist ein stilles - und Röhrig findet dafür ein Memento-Mori-Bild, wie es der Meister nicht trefflicher erdacht haben könnte, auch wenn er das Barockzeitalter ansonsten mit abgeneigtem Befremden zur Kenntnis nahm. Schreibt Röhrig. ......