Die Welt verfügbar machen

...... Wer hat Sie auf die Idee gebracht, ein Buch über Ihren Namensvetter zu schreiben?
Meine Mutter war eine große Bewunderin von Tilman Riemenschneider. Sie ließ mich auf seinen Namen taufen, sie erzählte mir von diesem Bildschnitzer, der Holz zum Leben erwecken kann. Ich wusste als Kind wenig damit anzufangen.


Wie gewannen Sie dann doch Iteresse?
Heute, als Schriftsteller widme ich mich dem historischen Roman. Doch meine Themen sind nicht zufällig gewählt. Ich schreibe Romane über Wendepunkte europäisch-deutscher Geschichte. Tilman Riemenschneider. Er lebte in einer Zeit, als die Reste des Mittelalters ins 16. Jahrhundert bröckelten. Reformation, Bauernkrieg. In diesen Jahren des Umbruchs, lebte er, war Künstler, gehörte dem Stadtrat an, aber er war kein Prediger, kein Agitator und geriet doch in den Strudel jener Wirren. Tilman Riemenschneider, dieser Mensch mit all seinen Höhen und Tiefen, er musste meine Hauptfigur im Roman werden.

Sind Ihre früheren Ronmane, die an der Wende zur Neuzeit spielen, Fingerübungen für Ihre große Lebensaufgabe?
Nein, nein! Im „Wir sind das Salz von Florenz“, in dem Roman über die Medici und den Bußprediger Savonarola ist zwar auch das große Wetterleuchten vor der Reformation enthalten, aber er konzentriert sich auf andere Erscheinungen. Um zu zeigen, was sich zwischen der Endmoräne des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit gewendet hat, ja aufgebrochen ist und was dort an Angst liegt, dazu braucht es auf jeden Fall mehrere Bücher.

Haben Sie mit dem Thema der unstandesgemäßen Heirat die Macht der geschlossenen Gesellschaft dargestellt oder brauchten Sie einfach Lovestorys?
Von einem Stand in den anderen zu gelangen, war schier unmöglich – diese Ausreden benutzt bei mir auch Tilman Riemenschneider der Magd Magdalena gegenüber, wenn er ihr sagt: Meine Zuneigung gehört dir, doch es tut mir leid, heiraten kann und darf ich dich nicht.

Welchen Satz konnten Sie erst nach der Teilnahme an einem Bildhauerlehrgang schreiben, den Sie vorher nicht schreiben konnten?
Ich kenne die Vibration in der Hand, weiß, wie weit das in die Knochen geht. Den Geschmack der Luft konnte ich erst beschreiben, nachdem ich sechs Tage lang von morgens bis abends im Steinstaub an einer Figur gehauen habe. Aber vor allem: Viele Sätze brauchte ich nicht mehr zu schreiben. Schriftsteller, die nicht gründlich recherchieren, müssen das bisschen Wissen, das sie erworben haben, unendlich umständlich erklären. Wenn man Dinge gesehen, erlebt hat, gibt man nur noch Signale, die der Leser entsprechend ergänzt.

Wenn Sie Aktenordner voller Recherchematerial haben, bleibt dann nicht nur ein schmaler Spielraum für Phantasie?
Das scheint auf den ersten Blick so, aber es verhält sich gerade umgekehrt: Wenn ich so viele Informationen über mein Thema aufgesogen habe, wie es irgend geht, dann bin ich plötzlich frei, dann habe ich die Welt verfügbar.

Was zeichnet einen schlechten historischen Roman aus?
Wenn er so schwarz-weiß malt wie ein Lore-Roman, mit einer einsträngigen Handlung. Und wenn im 12. Jahrhundert Kartoffeln gegessen werden – sogar mit der Gabel. Auch flapsige Gegenwartssprache sollte man in einem historischen Roman nicht verwenden. Zumindest mir bietet der historische Roman die Gelegenheit, ein wenig Hüter unserer deutschen Sprache zu sein. Hier kann ich den unglaublichen Nuancenreichtum der Sprache besser und auch verantwortungsvoller nutzen als in einem Genreroman.

Wieviel Prozent aller neu erscheinenden historischen Romanen sind gut?
Wie soll ich dies beurteilen, da ich die Kollegen nicht lese? Das macht mich nicht blind - es hält meine Seele rein. Außerdem habe ich kaum Zeit dazu. Ich lese im Jahr fast 100 Bücher, meist Fachliteratur zu meinem jeweiligen Thema. Zur Erholung schaue ich dann nicht: Wer hat denn in diesem Jahr noch einen netten historischen Roman geschrieben? Da lese ich lieber Jean Paul, der so wunderbar eine Luftblase zur anderen hinzufügt und Kringel entstehen lässt...

Was kann man heute noch von Walter Scott lernen?
Ich sehe mich selbst in der Tradition der großen alten Erzähler - auch wenn ich selbst nicht groß und alt bin. Diesen Atem, den Walter Scott hatte, den würde ich vielen Kollegen wünschen, denn nicht jeder dicke historische Roman hat auch einen Atem.

Was macht Sie so mutig, Themen aufzugreifen, die schon oft behandelt wurden?
Nach Horst Stern, der so verliebt in sich selbst war und so frauenfeindlich, musste ich einfach was über Friedrich II. schreiben. Mehr noch, in meinem literarischen Lebensplan, einen Zeitbogen mit historischen Romanen zu spannen, war es ein Muss, solch einen Riesenmenschen mit all seinen Visionen und auch Fehlern durchsichtiger zu machen. Oder: vor mir hat noch niemand geschrieben, dass Hannibal, um einen Gegner wirklich zu vernichten, als erster Feldherr auch planmäßig Frauen, Kinder und das Vieh vernichten ließ; das war zum Beispiel der Grund, über ihn zu schreiben. Da war mir das egal, ob schon mal jemand darüber geschrieben hat.

Was war bisher Ihr schönster Lohn außer Tantiemen?
Ich habe mich über jede literarische Auszeichnungen gefreut, oder auch, wenn in Lesungen zum Beispiel ein Schuldirektor zu mir kommt und sagt, er hätte mich schon als Gymnasiast gehört – und weiß sogar noch, aus welchem Buch ich gelesen habe.

Dass eine Grundschule den eigenen Namen erhält, gehört zum Tagesgeschäft?
< Das habe ich erst gar nicht ernst genommen. Nach einer Lesung fragte man mich, ob ich was dagegen hätte, und ich sagte: Ach wo! Ein Jahr später riefen mich die Initiatoren an und erzählten, sie hätten den Antrag durch alle Parteien im Düsseldorfer Landtag gebracht. Danach haben mich die Fraktionsvorsitzenden bei einem Essen beschnuppert. Denn den Namen von einer Schule wieder wegzunehmen scheint schier unmöglich: Alle Dokumente und Zeugnisse tragen ja den Namen. Da mussten sich die Verantwortlichen sicher sein, dass der Pate nicht plötzlich rechtsradikal schreibt oder irgendwelche Geschichten macht.

In welcher Epoche spielt Ihr nächstes Werk?
Da ich ein sehr langsamer Arbeiter bin, will ich das genaue Thema nicht verraten. Nur soviel sei gesagt: Ich beschäftige mich mit der Gegenreformation in Italien nach dem Tridentiner Konzil.

Wie nahe werden Sie sich jemals an die Gegenwart heranschreiben?
An meinem großen Plan arbeite ich nicht immer chronologisch, sondern springe, wenn ich es für notwendig halte, 200, 300 Jahre vor oder zurück. Ich will mich nicht selbst in ein bequemes Fahrwasser der Recherche hinein bringen. Dadurch könnte ich nachlässig in meiner Arbeitsweise werden. Um neue Ansätze zu finden, begebe ich mich gerne erst in eine andere Epoche, ehe ich den vorherigen Weg weiter verfolge.

Wie wäre es mal mit dem 20. Jahrhundert?
Nein, ich gehe nur über den Wiener Kongress hinaus bis in die Zeit vor 1848 hinein. Und das Buch über die Wiege des deutschen Nationalismus, über Karl Ludwig Sand und die Ermordung des August von Kotzebue, habe ich schon geschrieben. ......