Die Ballade vom Fetzer

Interview
N.A.

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Piper-Verlag


(Auszug)

Zwei Tage, nachdem Mathias Neuwied verlassen hatte, wurde Gertrud unruhig und fragte Belz nach ihm.
„Der ist doch schon lange weg in die Neußer Furt.“
Gertrud starrte den Wirt an. „Weggefahren? Und er hat mich nicht mitgenommen?“
„Er muss sich verstecken wegen des Daadener Überfalls.“
Gertrud nickte langsam. „Er hat mir gar nichts gesagt.“
Belz griff sie um die Taille. „Reg dich nicht auf. Er kommt in ein paar Wochen wieder. Trink was mit mir!“
Gertrud lehnte den Schnaps ab und verließ die Herberge. Seit der Geburt des Kindes war sie etwas fülliger geworden. Sie hatte die Blicke einiger Bandenmitglieder bemerkt. ,Ich könnt leicht einen anderen finden’, tröstete sie sich, wenn Mathias lange nicht bei ihr gewesen war. ,Ich bin immer noch schön.’ Oft war sie verzweifelt, wenn Mathias ihr die Mädchen eines Bordells vorzog. Außerdem war sie eifersüchtig auf Ursula, weil das Mädchen von Mathias so viel mehr beachtet wurde als sie. ,Ich soll das Kind hüten, deshalb hat er mich nicht mitgenommen.’ Gertrud ballte die Hände. ,Verrecken soll der Balg!’
Manchmal hatte sie daran gedacht, heimlich davon zu gehen. Aber sie fürchtete seinen Stolz und Jähzorn. Außerdem wusste sie nicht, wohin sie gehen konnte. Sie kannte nur das Bordell der Düwels Trück.

In der Nacht klopfte es lange an ihre Tür. Gertrud wachte auf.
„Ja?“ fragte sie.
„Mach auf!“
Gertrud lief zur Tür. Sie glaubte, Mathias wäre zurückgekommen. Vor der Tür stand Belz. Kaum hatte die Frau geöffnet, da stieß sie der Wirt aufs Bett. „Ich will dich“, keuchte er. Gertrud schrie, Belz presste ihr die Hand auf den Mund. Sie biss ihm tief in den Handballen. Fluchend ließ der Wirt sie los und Gertrud fauchte: „Wag es nur! Ich sag alles dem Fetzer! Dann lebst du keine Stunde mehr!“
„Der Fetzer kümmert sich nicht mehr um dich.“ Belz lachte gemein. „Der geht der kleinen Schwarzhaarigen nicht mehr aus dem Bett.“

Gertrud sah den Wirt mit weit aufgerissenen Augen an. „Was sagst du?“
Belz griff mit der unverletzten Hand nach ihrer Brust. „Er hat sich ein Flittchen mit nach Neuß genommen.“
„Ich werd ihm den Balg vor die Füße werfen!“ Gertrud schrie, weinte und schlug mit beiden Fäusten auf den Wirt ein.
Sie behielt ihn bis zum Morgen in ihrer Kammer. Belz versuchte, sie am anderen Tag zu überreden, in Neuwied zu bleiben. Doch Gertrud hatte sich verändert. „Lass mich. Du Schwein hast deinen Spaß gehabt. Jetzt ist dieser ekelige Zwerg dran.“

Auf der Fahrt nach Neuß schlug sie das Kind oft. Wenn Ursula dann weinte, drückte Gertrud sie an sich. Aber bald darauf schrie sie das Mädchen wieder an: „Du und dein Vater, ihr seid schuld!“ Die Kleine verstand nichts.
Als die beiden den ,Schwan’ erreichten, war Mathias mit seinen Männern unterwegs. Gertrud übergab das Kind der Wirtin. „Wo ist sie?“
„Oben!“
Die blonde Frau nahm einen Stock und stürzte die Treppe hinauf, riss die Kammertür auf, warf sich auf Christine und schlug blindwütig auf sie ein. Die schrie wild auf, entriss ihr den Stock, erkannte Gertrud und schlug selber zu, immer wieder. „Ich bring dich um!“ schrie sie. Gertrud lag auf dem Boden und wehrte sich nicht mehr. Die Wirtin des ,Schwan’ riss Christine zurück. Mühsam raffte sich Gertrud auf und wartete in der Schankstube auf die Rückkehr der Bande. Quer über das Gesicht lief eine rote Schwellung, aber die junge Frau weinte nicht mehr.
Die Wirtin brachte Ursula ins Bett und schloss vorsichtig die Kammertür ab.
Es war schon dämmrig, als Gertrud die Männer kommen hörte. Die Tür wurde aufgestoßen. Einer der Räuber schrie nach Schnaps. Mathias achtete nicht auf den einsamen Gast. Er fluchte über das Pech, das sie hatten. „Morgen werden wir mehr Glück haben.“
„Tag, Mathias“, sagte Gertrud leise.
Er zuckte zusammen. Langsam drehte er sich um, ging auf sie zu, dicht vor ihr blieb er stehen. „Wo ist unsere Tochter?“
„Die ist verreckt!“ schrie Gertrud. Mathias wurde blass und stützte seine Hand schwer auf den Tisch. Jetzt lachte seine Frau schrill. „Sie ist nicht tot. Sie schläft oben.“
Seine breiten Lippen zuckten. „Wo ist die Ursula?“
Die Wirtin betrat gerade den Schankraum. „Sie schläft oben. Ich habe sie ins Bett gebracht“, antwortete sie für Gertrud. Mathias riss das Messer aus dem Gürtel. Seine Nasenflügel blähten sich. Kaum hörbar fragte er seine Frau: „Warum hast du das gesagt?“
„Weil ich den Balg schon längst hätte erschlagen sollen!“
Mathias hob das Messer. „Sag das noch mal, und ich stech dich ab!“
Die Wirtin trat vor ihn hin. „Fetzer, hör auf!“
Er stieß sie zur Seite und verließ den Schankraum.

Oben in der Kammer empfing ihn Christine mit Tränen in den Augen. „Sie hat mich geschlagen.“
Mathias streichelte ihr Haar. Christine schrie: „Geh doch zu diesem Weib! Ich fahre zurück nach Neuwied.“ Mathias schüttelte den Kopf. Wieder schluchzte sie laut. „Ich werd gehen!“ Mathias stöhnte. „Ich will nicht, dass du gehst.“
„Dann schaff das Weib aus der Welt!“ Christine kniete vor ihm.
„Sie ist die Mutter meiner Tochter“, sagte er leise.
Christine schlug mit dem Kopf auf die Matratze und blieb so liegen. Mathias sah ihre Hilflosigkeit. Er fühlte sich zum erstenmal stärker als sie. Langsam schob er seine Hand unter ihren Rock. Christine drehte den Kopf zur Seite. „Komm!“ flüsterte er heiser.
Da lachte sie. „Nie mehr, so lange das Weib hier ist.“
Mathias sprang auf und starrte zum Fenster hinaus.
Sie trat hinter ihn und umschlang ihn mit den Armen. „Wir können noch heute Nacht mit ihr weggehen. Ich mach das schon. Nimm du noch zwei Männer mit. Sie werden ihren Spaß mit ihr bekommen. Nachher sagst du ihr, dass du sie nicht mehr willst.“
Mathias zögerte. Die Frau flüsterte ihm zu: „Ich bleibe dann für immer bei dir.“
Mathias ging hinaus und rief zwei der Gefährten zu sich. „Ihr geht heute Nacht mit uns.“ Die Männer nickten, ohne zu fragen. Christine kam die Stiege herunter und betrat den Schankraum. Gertrud saß immer noch am Tisch. Freundlich sagte die Jüngere: „Komm, wir vertragen uns! Wir gehen und feiern ein Versöhnungsfest. Der Fetzer hat mir gesagt, dass er bei dir bleiben will. Ich geb ihn dir wieder.“
Gertrud sah sie hoffnungsvoll an. Sie stand auf und lief zu ihrem Mann. „Ist das wahr?“
Steif nahm Mathias sie in seine Arme.

Sie wanderten bis zu dem einsam gelegenen Haus des Sebastian Trotzenberg. Es lag weitab von der Straße nach Büttgen mitten in den Kappesfeldern. Der Bauer Trotzenberg war ein Freund der Räuber. Er ließ Mathias, die beiden Gefährten, Christine und Gertrud in der Scheune übernachten. Er brachte Branntwein und ein Wachslicht. Gertrud saß glücklich neben ihrem Mann und prostete Christine zu.
Mathias schwieg und trank wenig. Im Morgengrauen waren Gertrud und die beiden Kumpane betrunken. Christine forderte die beiden Männer mit schwerer Zunge auf: „Los, nehmt sie!“ Dabei zeigte sie auf die zusammengesunkene blonde Frau. Nur langsam begriffen die Männer. Sie sahen auf Mathias. „Er hat nichts dagegen!“ schrie Christine.
Er nickte.
Gertrud spürte kaum, wie sie von den Betrunkenen ins Stroh gezogen wurde. Sie lallte immer wieder den Namen ihres Mannes. Christine kroch zu Mathias und kicherte.
Gegen Mittag wurde Mathias durch einen Tritt in den Magen aus dem Schlaf gerissen. „Du gemeiner Hund!“ Gertrud stand in zerrissenen Kleidern vor ihm. Christine erwachte. „Schlag das Luder tot! Fetzer, schlag sie doch!“ Mathias stand auf. Er wehrte die Angriffe seiner Frau mit den Armen ab. „Du hast schuld!“ schrie Gertrud verzweifelt. Mathias stieß sie vor die Brust, sie stolperte und stürzte auf den Boden. Christine drückte Mathias einen kurzen Knüppel in die Hand. „Fetzer, schlag sie tot!“
Er nahm das Holz und ließ es wieder fallen. Gertrud hatte sich wieder aufgerafft. Schreiend stand sie vor ihm. „Du Zwerg! Du Schuft!“
Neben ihm schrie Christine: „Du Feigling! Und du willst ein Mann sein!“
Gertrud schlug ihm ins Gesicht. Mathias rührte sich nicht, nur die Fäuste ballte er.
„Du Feigling“, Christines Stimme klang schrill. Sie lachte ihn aus.
Gertrud spie ihm ins Gesicht. „Deine Tochter ist genauso eine Missgeburt wie du. Ich erstick sie. Ich werd sie ersäufen.“
Mathias stieß einen Schrei aus. Er bückte sich nach dem Knüppel. Gertrud krallte sich in seine Jacke. „Ich bring das Kind um! Du Zwerg. Ich erstech dein Balg.“
Nach dem zweiten Hieb auf ihren Kopf war sie still. Mathias schlug immer wieder auf den Schädel. Dann starrte er auf die tote Frau, die langsam an ihm heruntersank und zu seinen Füßen liegen blieb.
Die beiden Gefährten standen da, hilflos, sie verstanden nichts. Christine zischte: „Sie ist tot, Fetzer.“
Mathias sah zu den Kumpanen. „Ihr habt nichts gesehen“, murmelte er schwerfällig. Die beiden nickten stumm. Christine nahm seinen Arm: „Komm, wir müssen weg!“

Mathias ließ sich widerstandslos aus der Scheune ziehen. Im Hof stand die Bäuerin. Sie starrte mit offenem Mund auf die kleine Gruppe, die ins Freie trat. Als sie das Blut an Mathias sah, schrie sie: „Oh, Gott steh uns bei!“ Christine schlug ihr ins Gesicht: „Wir brennen deinen Hof nieder, wenn du ein Wort sagst.“
Die Frau nickte und lief jammernd ins Haus.
Christine und die Männer suchten nach einem Bach. Mathias wusch sich das Blut von den Händen, und Christine rieb seine Jacke und die Hose mit einem Stein, bis die Flecken nicht mehr zu sehen waren.
Bis zum Abend schwieg Mathias, dann trank er Branntwein. Als Christine ihm ins Ohr flüsterte, das sie nun für immer bei ihm bleiben wolle, da legte er einen Arm um sie. „Wir müssen noch mal zum Trotzenberg“, sagte er später. „Wir müssen die Leiche verscharren.“

Eine Stunde vor Mitternacht klopfte die kleine Gruppe wieder an die Tür des Bauernhauses. Sebastian Trotzenberg öffnete ängstlich. Mathias hielt ihm die Pistole an den Hals. „Los, nimm eine Schaufel! Komm mit!“ Der Bauer musste auf dem Feld ein tiefes Loch graben und Gertrud hineinlegen. Nachdem der Leichnam verscharrt war, trampelten die Männer die Erde fest. Sebastian Trotzenberg musste Kohlpflanzen auf die Stelle setzen. Jetzt erst war Mathias zufrieden. Er drohte dem Bauern, ihn in vier Stücke zu hauen, wenn er etwas verriet. Dann kehrte er mit Christine und den beiden Männern in den ‚Schwan’ zurück.