Von seinen Feinden unter Druck gesetzt, hat Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio, eine entsetzliche Tat begangen. In einem einzigen Moment hat er alles, seinen Ruhm, seine Heimat, seine große Liebe verloren. Und von jetzt an, steht auch noch sein Leben auf dem Spiel. Ein Roman wie ein Gemälde von Licht und Schatten, der die atemberaubende Geschichte eines der größten europäischen Maler meisterhaft in Szene setzt. Mit viel Farbe und dramatischem Pinselstrich erschafft Bestsellerautor Tilman Röhrig eine Welt, die gleichzeitig beunruhigt und fasziniert und den, der sie betritt, nicht mehr loslässt. eine entsetzliche Tat begangen. In einem einzigen Moment hat er alles, seinen Ruhm, seine Heimat, seine große Liebe verloren. Und von jetzt an, steht auch noch sein Leben auf dem Spiel.
Ein Roman wie ein Gemälde von Licht und Schatten, der die atemberaubende Geschichte eines der größten europäischen Maler meisterhaft in Szene setzt. Mit viel Farbe und dramatischem Pinselstrich erschafft Bestsellerautor Tilman Röhrig eine Welt, die gleichzeitig beunruhigt und fasziniert und den, der sie betritt, nicht mehr loslässt.
Leseprobe aus dem 7. Kapitel
Michele ging langsamer, versuchte die Augen ans Halbdunkel zu gewöhnen. Gerade war er mit Mario noch im Glutrot der späten Nachmittagssonne von Trastevere über die beiden Brücken der Tiberinsel gewandert und großzügig hatten sich ihrem Blick der Flusslauf, die Türme und Palazzi der Stadt geöffnet, kaum aber waren sie neben dem Teatro Marcello durchs Tor des Ghettos geschritten, war die weite Helligkeit der Stadt zurückgeblieben. Und hinter der ersten Biegung verengten abgestellte Karren, Kisten und Fässer die Gasse. Rechts und links reckten sich dünne Häuser schief und gekrümmt nach Licht und Luft lechzend in den Himmel. Kein Architekt hatte sie je geplant, wie Taubenschläge waren die einzelnen Stockwerke nach und nach aufeinandergebaut worden. Und an den brüchigen Hausbrüstungen hingen bis hoch hinauf Wannen, große Töpfe, Tiegel und Gerätschaften, die seltener gebraucht und in den Stuben nur die Enge verschlimmert hätten.
„Warum willst du immer durchs Judenviertel gehen?“
„Weil es eine Abkürzung ist.“
Mario hielt sich die Nase zu. „Ich finde diesen Modergeruch einfach ekelhaft. Schlimm genug, dass hier die Juden im Ghetto so eingepfercht …“
„Still.“ Michele blieb stehen. „Hörst du das?“ Aus einem Hinterhof ganz in der Nähe drangen die Klänge einer Schalmei. Eine leichte und doch traurige Melodie lief vor sich hin, stieg hinauf in helles Aufschluchzen, dann sank sie zurück, eilte und hüpfte und schwang sich wieder hinauf. „Komm“, flüsterte Michele und zog den Freund hinter sich her durch den düsteren Torbogen. Rechtzeitig entdeckte er den schlafenden Hund mitten auf dem Weg. Im Innenhof hob Michele den Kopf. Die gezackten Hausgiebel rundum waren die Lippen des Klagemundes und von weit oben blickte das glühende Auge des Himmels herab ins Ghetto. Dazu weinte und lachte die Schalmei. Er sah sich um, fand den Spieler nicht. Zunächst erkannte er nur Lumpenhaufen vor den Türen, bunte Stofffetzen, Lappen aus Brokat glitzerten, da schimmerte Grün, da wetteiferte Gelb mit Rot, und an der gewunden Steintreppe hinauf zum Eingang im ersten Stock hingen blaue Seidentücher. Er neigte sich zu Mario. „Siehst du hier irgendjemanden?“
Unmerklich deutete der Freund zur schmalen Leiterstiege gegenüber am mittleren Haus. Michele verengte die Augen, dann sog er den Atem ein. War es der leichte Rausch vom Wein in der Osteria? Ganz gleich. Er wünschte sich Leinwand und Farbe, wollte malen. So würde ich die Szene stellen, dachte er, genauso. Zwei schlanke Mädchen, das dunkle Haar zum Zopf geflochten, kauerten auf Samtkissen und nähten an einem Flickenteppich. Um sie herum tänzelte langsamen Schritts ein junger Mann und blies die Schalmei, und es schien, als bestimmte die Melodie jede Bewegung seines Körpers.
„Wir sollten gehen“, ermahnte Mario. „Sonst …“
„Still. Sei still.“ Hingezogen näherte sich Michele einige Schritte, dann ließ er sich auf einem Mauerrest nieder und hob die Hände, um den Bildausschnitt zu sehen. Nur etwas mehr Licht fehlte. Es soll von oben kommen, soll die Gesichter der Mädchen, ihre Körper und die nähenden Finger zeigen, wenn sie Nadel und Faden aus dem bunten Flickenteppich ziehen. Und zwischen ihnen bläst der Junge die Schalmei. Nein er schaut keine der Schönen an, er spielt ganz allein für sich.
Michele spürte die Hand auf der Schulter. Noch halb vom Bild gefangen, tastete er nach den Fingern des Freundes. „Wir sollten sie zu uns einladen. Mit den Lumpen. Nicht in die Akademie. Zu dir. Ich könnte die Szene stellen.“
„Bitte. Nicht jetzt. Es ist schon spät.“ Mario versuchte ihn hochzuziehen. „Wir müssen uns beeilen. Bei Sonnenuntergang werden die Tore geschlossen. Du kannst ja Morgen fragen. Bitte lass uns gehen.“
Widerwillig gab Michele nach, sah sich im Durchgang noch einmal um, sein Blick fand die Mädchen nicht mehr. Nur das Spiel der Schalmei begleitete ihn noch eine Weile, löste sich erst auf, während er mit Mario über den Judenplatz am Brunnen vorbei zum Haupttor eilte.
Ein Trupp der Stadtwache bezog draußen Posten. Ihr Hauptmann hoch zu Ross gab den Befehl: „Schließen!!“ Je zwei Männer marschierten zu den Torflügeln, das dritte Paar kreuzte in der Zufahrt die Spieße.
„Schnell!“ Mario sah angstvoll den Freund von der Seite an, sah nach vorn. Die Torhälften bewegten sich schon. „Lauf! Bitte, laufen wir“, flehte er. Michele ging rascher, lief aber nicht. „Die Kerle sehen uns doch. Die warten.“
Langsam schwangen die Flügel aufeinander zu.
„Nein, sie warten nicht! Schnell!“
Nur noch wenige Schritte. Jetzt hastete Michele nach vorn, streckte die Hand. „Wir müssen noch raus. Wartet. Verdammt so wartet.“ Im letzten Moment drang er in den noch offenen Spalt, stemmte sich mit dem Rücken gegen einen der Flügel. „Wartet! Verdammt!“ Überrascht hörten draußen die Männer auf zu ziehen.
Michele sah nur den Freund. „Raus! Raus mit dir.“ Als Mario an ihm vorbei schlüpfte, lachte er. „Was hab ich gesagt? Wir schaffen es.“ Er gab den Spalt frei, wollte auch in die Helligkeit der Stadt. Zwei Spieße zielten auf seine Brust. „Keinen Schritt weiter. Zurück mit dir.“
Michele staunte die Bewaffneten an. „Was fällt euch ein? Ich gehöre da nicht hin.“
„Wird’s bald.“ Der Ton wurde drohender. „Oder wir nageln dich gleich hier ans Tor.“
„Was?“ Jäh ahnte Michele die Gefahr. Bedrohlicher spürte er den Druck der geschliffenen Spitzen auf seinem Wams. „Nein, das ist ein Irrtum.“
Jetzt trieb der Hauptmann sein Pferd näher. „Senkt die Spieße.“ Erleichtert stieß Michele den Atem aus, trat einen Schritt beiseite und spähte suchend an dem Reiter vorbei. Mario stand nicht weit von der nächsten Gassenecke entfernt, beide Hände presste er ängstlich an die Wangen. Wenigstens du bist in Sicherheit, dachte er.
Neben ihm zügelte der Hauptmann den Gaul. „Nun los, Jude. Ab, zurück ins Ghetto. Morgen früh kannst du wieder raus und die Leute betrügen.“
„Ich bin kein Jude!!“
„Ach, ja?“ Der Truppführer spuckte ihm vor die Füße. „Sieht aus wie ein verlauster Jidd, hat fettige Haare wie ein Jidd, und leugnet, dass er ein Jidd ist. Das hört dein Rabbi sicher nicht gern.“
Michele rauschte das Blut in den Ohren.
Wieder spuckte der Reiter und setzte gefährlich sanft hinzu. „Nun aber zurück mit dir. Leg dich unter die Judensau …“
Das Rauschen wurde übermächtig, brach den Damm. „Wag es nicht!“ Michele ballte die Fäuste. „Ich bin Maler und wohne bei Giuseppe Cesari.“ Er stampfte auf den Reiter zu, einer der Wachen wollte ihn zurückhalten. „Lass mich!“ Michele schlug die Hand auf seinem Arm beiseite, mit dem Blick durchbohrte er den Hauptmann. „Und wenn du mich noch länger aufhältst, dann sollst du wissen, dass ich ein Freund der Familie Colonna bin.“ Dicht neben der Flanke des Pferdes hob er die Fäuste über den Kopf und drohte zum Truppführer hinauf. „Und Kardinal Ascanio wird es gar nicht schätzen, wenn sein Verwandter von einem lausigen Wachhauptmann als Jude beschimpft wird.“
„Das konnte ich nicht ahnen?“ Die Stimme klang hörbar verunsichert. „Aber was hat ein Christenmensch im Ghetto zu suchen. So spät noch?“
Gewonnen. Er beugt sich vor mir. Nun wollte Michele den Triumph auch ganz auskosten, übertrieben wild stieß er die Fäuste in die Luft. „Ich bin Künstler!“ brüllte er. „Bin auf der Suche nach Motiven! Aber davon verstehst du nichts. Ich werde bei deinem Vorgesetzten …“
Lärm, das Fuchteln der Arme. Unvermittelt scheute das Pferd, tänzelte, stieg vorne auf, mit Mühe zwang es der Reiter nieder, gleich buckelte es, sprang mit der Hinterhand.
Ein furchtbarer Schlag traf Michele am linken Oberschenkel, die Wucht warf ihn zu Boden. Hart prallte er mit der rechten Seite auf einen Stein. Schmerz durchfuhr die Brust, Schmerz stach über der Hüfte tief in den Leib. Luft fehlte. Michele rang nach Atem, hustete, das Stechen nahm zu. Weit aus der Ferne hörte er die Stimme des Hauptmanns: „Schließt das Tor! …“ Ein Echo folgte, wurde leise, Rot kam hinzu, es wischte alle Geräusche fort.
„Aufwachen.“
Michele erinnerte sich an die Stimme, sie gehörte Mario.
„Wach auf. Bitte, so hör doch.“
Er öffnete die Lider. „Wo sind wir?“ Keine Stimme, mehr ein Keuchen. „Draußen?“
Mario strich ihm das Haar aus der Stirn, mit der anderen Hand wischte er sich selbst die Augen. „Vor dem Ghetto.“
„Und die Kerle?“
„Fort. Sie haben dich einfach liegen lassen.“
„Ist besser so.“ Michele versuchte sich aufzurichten, schrie vor Schmerz und sank zurück. „Allein schaff ich es nicht.“
Behutsam half ihm Mario, stützte den Rücken, bis er sitzen konnte. „Was ist mit meinem Bein?“
Der Hosenstoff war zerrissen. Mario untersuchte die Stelle. „Die Haut ist aufgerissen. Es blutet nur wenig. Aber viel Schmutz ist in der Wunde. Wir müssen sie auswaschen. Hast du große Schmerzen?“
„Da nicht so sehr.“ Michele versuchte tiefer zu atmen. „Ich glaub, meine Seite ist schlimmer.“ Noch ein Stöhnen, dann zwang er sich über den Schmerz hinweg. „Hilf mir auf die Füße.“
„Ich bringe dich zu mir.“
Mit dem linken Arm stützte sich Michele auf den Freund. Schon nach wenigen Schritten keuchte er. „Nicht zu dir. Die vielen Treppen schaffe ich nicht. Wir gehen zur Akademie. Mein Zimmer da, liegt nicht so hoch.“
Heiß war ihm. Michele wälzte den Kopf hin und her. Nur den Kopf. Nur nicht den Körper bewegen!
Längst war das Bett zum Foltertisch geworden. Seit drei Nächten, drei Tagen sehnte er sich danach auf dem Rücken zu liegen, so einschlafen zu dürfen. Doch schon der Druck der Matratze entfachte wieder die Qual auf der rechten Seite und das Atmen fiel ihm schwerer. Drehte er sich aber nur etwas zur Wand, so pochte die hartgeschwollene Wunde am linken Oberschenkel, schlug der Schmerz unerbittlich den Takt in sein Fleisch.
Was hatte Prospero erzählt? Heftig rieb sich Michele die Stirn. „Ich weiß es genau“, flüsterte er. Doch seine Gedanken flatterten wie Bänder, kaum vermochte er sie festzuhalten. „Von vorn!“ Der Befehl sollte helfen. „Beginne von vorn.“
Wie schon in den vergangenen beiden Tagen hatte Prospero Orsi auch heute in den Mittagsstunden nach ihm geschaut. „Benötigst du etwas?“
Deutlich erinnerte sich Michele an seinen Scherz. „Nicht viel. Einen Auftrag für eine Kirche, einen reichen Mäzen ... Und mindestens zwei große Räume, einen fürs Wohnen und den andern zum Malen ...“
Das war seine Antwort gewesen. Und dann? Mehrmals leckte er über die Unterlippe, keine Linderung, seine Zunge war vertrocknet. Durst. Jetzt fiel es ihm wieder ein, was er hinzugefügt hatte. Die Unruhe legte sich. Klar und deutlich erkannte er das sonnenhelle Fenster seiner Kammer oben im Haus der Akademie, sah neben dem Bett den Tisch mit seinen Skizzen. „Schenk mir Wasser ein. Das genügt.“
„So unbescheiden sind deine Wünsche gar nicht.“ Der ältere Freund hatte ihm den Becher gereicht. „Zu dumm, dass du dich mit der Stadtwache angelegt hast. Ausgerechnet am Ghetto … Den Sommer über hab ich mir einiges durch den Kopf gehen lassen. Und jetzt, da es Herbst wird und alle Vornehmen mit ihren Familien wieder von ihren Landsitzen zurück in die Stadt kommen, wollte ich dir einen Vorschlag unterbreiten.“
Michele hatte zu ihm aufgesehen. „Nur zu. Ich … ich bin nur unbeweglich.“
„Es wäre …“ Die Erinnerung verlor sich in einer weiten Steinwüste. „ …aber sobald …“
Vorbei. Ein Windstoß wirbelte die Bänder auf. Keine Bänder mehr, es waren graugelbe, lange Würmer mit offenen Mäulern. Angst befiel Michele. Beide Fäuste presste er auf die Augen, um sich vor ihnen zu verbergen …
„ … das Hemd ist nass geschwitzt.“ Die Stimme kehrte zurück, war ganz nah an seinem Ohr, doch sie gehörte nicht dem Malerfreund aus der Akademie. „Wir müssen es wechseln. Hast du Hunger?“
Verwundert ließ Michele die Arme sinken. Trübes Dämmerlicht herrschte in der Kammer. Mario beugte sich über ihn. „Ich habe dir Feigen und Käse mitgebracht.“ Er kühlte die Stirn mit einem feuchten Tuch.
„Was hat Prospero gesagt?“
„Weiß ich nicht.“
„Aber er war doch gerade noch hier?“
„Als ich kam warst du allein. Und auf der Treppe bin ich auch niemandem begegnet.“
„Das kann nicht sein, weil …“ Michele wusste den Grund nicht mehr, er legte den Kopf zur Seite. „Licht. Bitte, lass mich nicht im Dunklen liegen. Weißt du, ich habe keine Angst in den Keller zu steigen.“ Die Lippen bebten. „Spinnen, sagt Großvater, Spinnen sind gute Freunde. Und die Riesen an der Wand sind nur Schatten. Sie kommen nie her. “ Er seufzte erleichtert. „Niemals …“
Mario drehte den Docht höher und stellte die Lampe dicht ans Lager. „Was ist nur mit dir?“ Behutsam nahm er die Zudecke ab. „O Gott, nein.“ Der linke Oberschenkel war unförmig aufgequollen. Dort wo der Huf ihn getroffen hatte, glänzte ein rotbläulicher, eitriger Wulst. „Was sollen wir nur machen?“ Mario fasste nach der Hand des Kranken, suchte seinen Blick. „Die Schwellung ist viel größer geworden. Sie reicht jetzt schon vom Knie bis hinauf zur Leiste.“
„Ärgere dich nicht länger über das Bild.“ Michele sah ihn aus geweiteten Augen an. „Mein Prinz, du bist in Wahrheit viel schöner. Aber wenn … wenn ich dich so gemalt hätte, niemand wollte dann noch die Früchte. Alle hätten dich gewollt. So wie ich …“ Michele schloss die Lieder, bog den Kopf zurück. atmete rasch mit halbgeöffnetem Mund.