Sonnenfürst im Netz der Intrigen

Auszug aus dem Kölner Stadtanzeiger
Er lebte in einer Zeit, als Puder und Perücken das höfische Leben prägten und der schöne Schein das oft hässliche Sein verdeckte. Der Wittelsbacher Clemens August (1700-1761), langjähriger Kurfürst und Erzbischof von Köln, sicherte sich als feinsinniger Kunstmäzen und verschwenderischer Bauherr einen festen Platz in den Geschichtsbüchern. Zugleich Fürstbischof von Münster, Paderborn, Hildesheim und Osnabrück, war der "Herr der fünf Kirchen" (wie ihn seine Zeitgenossen nannten) eine der wichtigsten geistlichen Spitzen seiner Zeit.
Unsterblich wurde der "Sonnenfürst vom Rhein" vor allem durch den Bau des prachtvollen Brühler Schlosses Augustusburg, dessen berühmtes Treppenhaus Balthasar Neumann schuf, aber auch mit der Errichtung des in der Nähe gelegenen Jagdschlosses Falkenlust. Anlässlich Clemens Augusts 250. Todestag (er wurde im Februar begangen) widmet Tilman Röhrig dem nicht unumstrittenen Monarchen nun einen deftig-süffigen Roman, der am Mittwoch in Brühl zur Urlesung und am Donnerstag in den Buchhandel gelangt.
In "Der Sonnenfürst" verstrickt sich der kränkelnde Reichsfürst in ein undurchdringliches Geflecht aus Intrigen und Verrat. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als Clemens' enger Freund, der Geheimrat und Komtur Johann Baptist von Roll, bei einem Duell mit Friedrich Christian von Beverförde hinterhältig getötet wird.
Der Mord, der Clemens' Seele erschüttert, soll ihn im Machtkampf zwischen Habsburg und Wittelsbach auf die vermeintlich richtige Seite ziehen. Nur zwei Menschen halten in der aufgeheizten Stimmung zu dem von allen Seiten bedrängten und zutiefst verunsicherten Herrscher: sein mächtiger "Hofzwerg" Albert Le Grand und die Harfenistin Mechthild Brion, die Clemens' Geliebte wird.
Nach dem fesselnden Hunnenepos "Ein Sturm wird kommen von Mitternacht", dem Künstlerroman "Riemenschneider" und dem biografischen Lesefutter "Caravaggios Geheimnis" hat Röhrig erneut einen lesenswerten historischen Roman vorgelegt. Und wie man das von dem akribisch recherchierenden Autor nicht anders kennt, handelt es sich bei den meisten Protagonisten im "Sonnenfürst" um historisch verbürgte Figuren. Das gilt für Mechthild ebenso wie für die Herren von Roll und von Beverförde, einen hohen Amtsträger im Dienste Kurkölns.
Auch die (höfischen) Lebensumstände zur Zeit des Rokoko leuchten in dem Epos immer wieder grell auf. Mit derbem Wortwitz und schallender Ironie schildert Röhrig beispielsweise, wie sich eine feine Dame der Gesellschaft während eines Empfangs von ihrer Zofe eine "Soßenschüssel" zwischen die Beine schieben lässt, weil ihr die Warteschlange vor dem Abtritt zu lang ist. Oder wie eine Baronin ihren geliebten Mops das Bein am Strumpf eines aufdringlichen Galans heben lässt: "Herkules macht nur saubere Bächlein."
Tilman Röhrig, der in der Zeit des "Dramaturgietheaters" die Lust am Schauspiel verloren hatte, wie er selbst einmal erzählte, inszeniert mit diesem prallen Sittengemälde ein erhellendes Schauspiel im Kopf des Lesers. Er landet damit erneut einen Volltreffer mitten ins Herz der Freunde historisch korrekter und fiktional fantasievoller Schmöker.Tilman Röhrig: "Der Sonnenfürst", Pendo, 441 Seiten, 19,99 Euro.