Wie ein Lamm unter Löwen

alter Mann mit schneeweißem Haar zu den staunenden Bürgern auf dem Marktplatz von Neuss. Alle sind verwundert darüber, welche Einzelheiten der Unbekannte über das Leben Friedrichs, des letzten Stauferkaisers, weiß. Dies kann kein Betrüger sein. Aber wer ist es dann?

Auszug aus dem Buch

Die erste Begegnung zwischen Kaiser Friedrich II. und dem Betteljungen Tile
S.180-189

Lag auch mildes Septemberlicht über den sanften Hügeln, den Wiesen und Feldern, nahe der Stadt wurde das friedvolle Bild jäh zerrissen. Der Zug trabte an erschlagenen Bauern vorbei; vom Sattel wies der Straßburger Bischof stumm zu verwüsteten Gehöften hinüber: Rauch schwelte aus den Trümmern, aus den verkohlten Scheunen. Die Spuren der sächsischen Rotten hatten sich in das Land eingebrannt.
Dicht vor dem Stadttor drängte sich das Volk, gezeichnete Frauen und Mädchen mit wehem Blick, Männer, den Zorn noch in den Augen; aus allen Gesichtern sprach die Not und Verzweiflung der vergangenen Wochen. Nur die Kinder liefen herum, schoben sich zwischen Bürgern, Bettlern, Unfreien und Hausierern nach vorn, jedes suchte einen guten Platz am Straßenrand. Für Blumen und Girlanden schien keine Zeit gewesen zu sein. Schweigend erwarteten die Breisacher den jungen Fürsten.
Rudolf von Habsburg trieb sein Pferd neben Friedrich. »Verzeiht, mein König. Ich schäme mich für diese ungehobelten Leute«, schimpfte er. »Wo bleibt der Burgvogt? Kein Jubel! Nein, wahrhaftig, so begrüßt man keinen Herrscher.«
»Seht doch genau hin, Graf«, ermahnte Friedrich leise. »Sie tragen bunte Sträuße in den leeren Händen. Hört Ihr? Sie rufen und lachen Uns aus verschlossenen Lippen zu.«
Der Habsburger hob die buschigen Brauen. »Alt bin ich, doch nicht blind und taub.«
»Seid nachsichtig. Diese Leute haben mich längst begrüßt, gestern nacht und in den Wochen vorher. Sie wanden mir Kränze aus ihrer Qual und Not, schmückten sie mit Tapferkeit und besteckten sie mit Blüten von ihrem Blut. Das ist mehr Festlichkeit, als mir bisher entgegengebracht wurde.«
»Gott schütze Euch, Friedrich.« Bewegt setzte der Graf hinzu: »Ihr seid es, Ihr seid der König, dem ich dienen möchte.«
Spät aber dennoch rechtzeitig ritt der Vogt mit einigen Ältesten dem Zug entgegen, hieß den Gast willkommen und bot ausreichend Gelände für das Zeltlager der Truppen an. In aller Form lud er Friedrich mit dem vornehmem Gefolge auf seine Burg ein.
Als sie das wartende Volk vor dem Tor erreichten, zügelte der Staufer sein Pferd. »Ihr Leute von Breisach!« Offen zeigte er seine Zuneigung und dankte für den bewiesenen Mut, versprach Geldgeschenke, um den Schaden und die erlittenen Schmerzen zu lindern. Wenige Worte, ernst und voller Anteilnahme, genügten; sie öffneten Friedrich die Herzen, und viele Hände streckten sich ihm entgegen, Rufe hießen ihn willkommen.
Der junge Fürst nahm sich Zeit; freundlich beantwortete er Fragen, lächelte nach rechts und links. Da fiel sein Blick auf eine weiß und dunkel gebänderte Adlerfeder, die zum Greifen nah direkt neben ihm schwankte. Friedrich sah hinunter. Ein zerlumpter Junge hatte den Kiel in einen geschnitzten Holzschaft gesteckt, hoch über dem Kopf ließ er die Feder hin und her schaukeln. Breitbeinig, auf nackten Füßen, stand der Kleine am Straßenrand, feuerrot leuchtete sein wirrer Haarschopf.
Friedrich hielt das Pferd an. »Ein Geschenk für mich?« Sofort brachte der Junge seinen Schatz außer Reichweite und streckte ihm die geöffnete Hand hin. Welch ein fordernden Blick stand in diesen seltsam blauen Augen? Einen Moment lang runzelte Friedrich die Stirn, dann wandte er sich lebhaft sich an seine Begleiter: »Beinah hätten Wir es vergessen: Die Zeit des Bettelns ist vorbei. Für die Erlangung des kaiserlichen Adlerwappens, selbst wenn es nur eine einzige Feder ist, muß ein König bezahlen.«
Schamröte stieg dem Burgvogt ins Gesicht. »Diese Bande! Nichts ist vor diesen herumstreunenden Plagegeistern sicher.« Er winkte der Stadtwache. »Wenn Ihr erlaubt, lasse ich Euch die Feder bringen.«
»Bemüht Euch nicht«, wies ihn Friedrich erheitert zurück. »Erst war es nur eine Laune, nun aber will ich es. Der Junge besitzt etwas, das ich haben möchte, und er bettelt nicht, nein, er bietet mir ein Geschäft an. Ob im großen oder im kleinen, halten wir es nicht alle so?« Er zog einen Ring vom Finger. »Lupold, handele mit ihm.«
Der Burgvogt traute seinen Augen nicht, wer es von den Umstehenden sah, dem blieb der Mund offen. Behutsam lenkte der Diener das Pferd dicht an den Jungen heran und reichte ihm die Kostbarkeit hinunter. Die kleine Hand schnappte zu, sofort verschwand der Ring in der tiefen Kitteltasche.
»Gib mir die Feder.«
Ohne den Blick vom König abzuwenden, schüttelte der Junge den Kopf, wieder streckte er die geöffnete Hand aus.
Friedrich nickte anerkennend. »Ihr solltet handeln, Baron Lupold. Nun bestimmt er den Preis. Biete ihm eine Münze zusätzlich.«
Gespielt streng fragte der Kammerherr: »Genügt das?«
Der Rotschopf nickte, geschickt fing er den Silberpfennig auf, und im Gegenzug überließ er dem Diener seine Adlerfeder.
»Sag mir deinen Namen«, verlangte Lupold; da der Kleine zögerte und die Nase krauste, setzte er vorsorglich hinzu: »Allerdings nur, wenn es nichts kostet.«
»Tile.« Der Junge duckte sich, tauchte unter dem Bauch des Pferdes her, drängte durch die Reihen der Leute am anderen Straßenrand und lief davon.
Lupold drehte den geschnitzten Holzschaft in der Hand, betrachtete die Zeichnung der Feder, halb im Scherz fragte er. »Darf ich das teuer erworbene Königsgut für Euch aufbewahren?«
»Hüte dich, es zu verlieren.« Der Siebzehnjährige sah ihn von der Seite an und murmelte: »Ganz unvermittelt wurde ich an unsere Zeit damals in Palermo erinnert.«
Lupold richtete sich im Sattel auf. »Dann war der Preis nicht zu hoch, mein Fürst.«
Vom Lachen Friedrichs ließen sich die vornehmen Begleiter anstecken. In heiterer Stimmung zog der junge König mit seinem Gefolge durchs Stadttor von Breisach.

Tile rannte. Immer wieder blickte er sich um, noch verfolgte ihn niemand, noch waren die anderen bei den Leuten am Straßenrand. Vater Jakob hatte seinen Bettelkindern befohlen, dem Zug bis hinauf zur Burg zu folgen. Jeder Ungehorsam wurde streng bestraft, das wußte Tile, aber jetzt besaß er einen Schatz, den er nicht hergeben wollte. Von außen tastete er nach der Kitteltasche, fühlte die Münze und den Ring.
Der Siebenjährige hastete zwischen den Karren und Pferden der Bewaffneten her und lief übers freie Feld auf ein Gestrüpp zu; erst hinter einem Busch blieb er stehen und spähte atemlos durch die Blätter zurück. Kein Verfolger war in Sicht. Tile griff in die Tasche. Zuerst nahm er den Ring, betrachtete ihn, strich über das Falkenbild und nagte vorsichtig am Gold. »Du gehörst mir«, flüsterte er. Auch den Silberpfennig unterzog er der Bißprobe. In jeder Hand hielt er ein Glitzerstück, lachte beide an und küßte sie.
Erschreckt schloß er die Fäuste. Wo sollte er den Schatz verbergen? Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Vater Jakob die andern hinter ihm her schickte. Eins der Kinder hatte bestimmt gesehen, in welche Richtung er gelaufen war, und alle würden sie ihn jagen, bis sie ihn gestellt hatten. Selbst wenn Tile ihnen jetzt entwischte, am Abend mußte er zurück in die Scheune. Seit ihn die Bauersleute vor zwei Jahren vom Hof getrieben hatten, war der verfallene Heustadel sein Zuhause; dort lebte er zusammen mit acht weiteren Kindern. Eltern besaß keines von ihnen, sie gehörten dem Bettler Jakob. »Ich bin eure Familie. Haltet wie Bruder und Schwester zusammen.« Er hatte die Waisen aufgelesen und für seine Dienste abgerichtet. Angstvoll nannten sie ihn Vater. Trotz Schlägen und Fußtritten blieben die Kinder bei dem Alten; er versorgte sie täglich mit Suppe und gab jedem eine Decke.
Entfernte Pfiffe und Rufe! Tile versteckte die Hände hinter dem Rücken. Von Breisach her kamen sie, weit auseinandergezogen, wie eine Hundemeute, waren am Zeltlager schon vorbei; noch hatten sie das Feld nicht erreicht. Sie durchstöberten die vereinzelten Büsche in den Wiesen, kletterten auf Obstbäume, sprangen zurück und suchten weiter.
Jähe Not zwang Tile, sich hinzuhocken. Ehe er sein Kittelhemd ganz über den Hintern heben konnte, entleerte sich schon der Darm. Er kroch wieder zum Buschrand. Bis zur Hälfte hatten die Verfolger den Acker überquert. Ring und Münze brannten. Wohin mit dem Schatz? Weder die Geschwister noch ein Tier durften ihn finden. Angestrengt krauste er die Nase, wog die Kostbarkeiten in den Händen, ein Stück mußte er opfern, um das andere vielleicht für sich zu behalten. Tile hatte sich entschieden, rasch kehrte zu seinem Haufen zurück und drückte den Ring tief hinein, das kleine Loch strich er mit Kot wieder zu. Dreimal spuckte er darauf. Die Silbermünze verbarg er im Kittel.
Nicht weit von der Stelle entfernt verließ Tile das Gestrüpp und blieb nach wenigen Schritten, die Lippen fest zusammengepreßt, im Feld stehen.
Sein leuchtendes Haar verriet ihn sofort, mit Pfiffen verständigte sich die Meute, wildes Wettrennen entbrannte. Ein Mädchen erreichte Tile als erstes. Aus dem Lauf heraus stieß die Halbwüchsige den Jüngeren um und wälzte ihn auf den Rücken, ihre Hand fuhr unter den Kittel, packte Hoden und Schwanz, mit der anderen umschloß sie seine Kehle. »Du rote Ratte!« Sie schrie den Geschwistern entgegen: »Ich war's! Ich hab' ihn gefangen!« Die Narbe quer über ihrer linken Wange glühte. »Ihr habt's alle gesehen!« Neid wuchs in den verdreckten Gesichtern, keuchend umstanden drei Jungen und vier Mädchen die Jägerin mit ihre Beute. »Schwört es!«
Die Kinder sahen sich an, ein Junge gab widerstrebend zu. »Ja, Elsa, du hast ihn erwischt.«
Fester drückte sie die Hand unter dem Kittel, daß Tile wimmerte. »Sag du's auch«, verlangte sie. Nur gequält konnte er nicken.
Elsa lockerte den Griff, sie drohte in die Runde: »Und wehe, ihr sagt es nachher nicht Vater Jakob.« Heute abend würde sie für ihren Fang ein Stück Käse und vielleicht sogar ein Weißbrot zum Lohn erhalten. An den Haaren zog sie Tile hoch und schüttelte ihn: »Deine Familie betrügen wolltest du!«
»Nicht wahr«, weinte er. »Nicht wahr.«
Die Zwölfjährige riß seinen Kopf zurück. »Was hast du hier gemacht?«
»Gekackt hab' ich, nur gekackt.«
Sofort verlangte die Anführerin den Beweis. Bereitwillig zeigte Tile ihr die Stelle hinter dem Busch, kein Wimpernzucken, mit nichts verriet er sich.
Elsa stieß die Zehspitze in den weichen Kot und ihr Zorn legte sich etwas: »Aber faulenzen wolltest du, uns die Arbeit überlassen? Dafür zieht dir der Vater zehnmal die Rute über.«
»Ich war fleißig«, beteuerte Tile. »Mehr als ihr hab' ich heut' erwischt.« Er zog die Münze aus dem Kittel.
Andächtig bestaunten die Zerlumpten das Silberstück. Niemand wagte es zu berühren, selbst Elsa nicht. Vater Jakob hatte ihnen bei Strafe eingebleut: Kein Diebstahl unter den Geschwistern. Keiner rührt die Beute des andern an. Und jeder mußte seinen Bettelertrag persönlich bei ihm abliefern.
Sorgsam steckte Tile den Pfennig zurück. Sein Ring war in Sicherheit; und was ihn auch noch erwartete, nie wollte er das Versteck verraten. Die offene Bewunderung der Geschwister ließ ihn die Schmerzen zwischen den Beinen vergessen, und kühn rief er: »Deswegen krieg' ich heute Käse und Brot und Suppe! Ich allein!«
»Dann fress' ich dich«, knurrte die Anführerin. Grob stieß sie ihn vor sich her.
Nicht weit von der Stadt entfernt, versteckt hinter Bäumen, lag der halbverfallene Heuschober am Hang eines Hügels, das Dach notdürftig mit Stroh und Steinen abgedichtet. Vater Jakob saß draußen auf einem Holzklotz: hager, groß; ein Schafpelz hing ihm von den Schultern. In seiner Nähe brodelte Suppe über dem Feuer. Nacheinander traten die Kinder vor ihn hin und leerten ihre Beutel. Käse, Würste und Brotkanten -- heute waren die Bürger freigiebig gewesen. Obendrein hatten ihnen die kleinen Diebe im Gedränge des Königsbesuches noch Spangen, Schultertücher, sogar einen Gürtel abgenommen.
Ehe Tile an der Reihe war, lobte Jakob die anderen: »Ihr meine tüchtigen Kinderchen«, sprach er in näselnd gütigem Singsang, »wie gut ihr zu eurem alten Vater seid!« Gewöhnlich war dieser Satz das Signal, nun endlich die Suppe essen zu dürfen. Heute hielt er die Hungrigen zurück. »Wartet, meine Sterne, wartet. Wir wollen doch sehen, ob euer jüngster Bruder sich heute auch das köstliche Mahl verdient hat.«
Die kleinen Augen musterten den Siebenjährigen. »Jungchen, nun komm zu mir.« Mit zitternden Lippen blieb Tile vor ihm stehen.
»Du warst ungehorsam, bist einfach weggelaufen. Dein Vater hat es gesehen und wurde sehr traurig. Hast du Strafe verdient?«
Tile ließ den Kopf sinken, unaufgefordert drehte er sich um. Die Hand des Bettlers fuhr zum Gürtel, schon riß er die Gerte heraus und peitschte den kleinen Rücken von rechts und links. Bei jedem Schlag schrie das Kind auf. »So, Jungchen, nun guck deinem Vater wieder in die Augen.«
Tile schluchzte.
»Denn vorher hat dein Vater noch was gesehen, und das hat ihn stolz gemacht.« Er schnippte fordernd mit den Fingern.
Sofort nestelte Tile den Silberpfennig aus der Kitteltasche und gab ihn her. »Du bist ein gutes Jungchen.« Wieder schnippte Vater Jakob.
»Mehr hab' ich nicht«, stammelte Tile, zum Beweis stülpte er die Tasche um. »Aber, aber, mein kleiner Sohn.« Der Singsang wurde leiser. »Zweimal hat dir der König was für deine Feder geben lassen. Also mußt du deinem Vater auch zweimal was geben. Die Leute haben was von einem Ringlein erzählt. Nun schenk es mir.« Fest ballte Tile die Fäuste. »Nur den Pfennig. Mehr hab' ich nicht gekriegt.« Vater Jakob seufzte bekümmert. »Dann werden wir nachsehen, Jungchen.« Er winkte Elsa. »Hilf deinem Bruder. Er soll den Kittel ausziehen.«
Ehe das Mädchen bei ihm war, hatte Tile selbst das Lumpenhemd abgestreift. Gründlich befühlte der Alte den Stoff, warf ihn beiseite und deutete auf das Amulett am Halsriemen des Jungen. »Her damit.« Er prüfte den Inhalt des kleinen Lederbeutels: Ein Dachszahn, drei kleine Kiesel. Mehr nicht. »Häng es dir wieder um, Jungchen, damit du nicht krank wirst.«
Kaum hatte Tile das Amulett angelegt, schnellten die dürren Arme vor, Vater Jakob riß das Kind zu sich, drückte es zu Boden und klemmte den Kopf zwischen seine Knie. Mit den Fingern wühlte er im Haar, bohrte in die Ohren. »Mach dein Maul auf, Jungchen.« Weil Tile nicht rasch genug gehorchte, preßte er ihm die Nasenlöcher zu, zwei Finger durchsuchten den Mund, auch in den Achselhöhlen fand er nichts. Schnell drehte Jakob das Kind um, hieb ihm die Faust auf den Rücken. »Bück dich, Jungchen, bück dich.« Elsa erhielt den Befehl, Tiles Kopf nach unten zu drücken. Er selbst riß die kleinen Hinterbacken auseinander und stieß ihm den Finger tief in den Darm. Vor Schmerz wimmerte Tile.
Die erfolglose Suche steigerte die Wut des Alten. »Wo hast du den Ring?« Während das Mädchen den Jungen festhielt, schlug er mit der Gerte auf den nackten Rücken. Mit einem Mal hielt er inne. »Laß dein Brüderchen los, mein Kind.«
Tile fiel zu Boden, blieb so liegen und schluchzte.
»Nun, Jungchen.« Er spreizte den Singsang. »Du hast deinen Vater sehr traurig gemacht. So traurig, daß er dich fortjagen muß. Von nun an gibt es nie mehr eine Suppe für dich, keine warme Decke. Ganz allein wirst du in der Nacht sein. Oh, ich höre schon die Wölfe.«
Bei seinen Worten drängten sich die Geschwister zueinander. Verstoßen werden, das war die schlimmste Strafe.
»Weg mit dir. Verschwinde aus meinen Augen.«
Der Siebenjährige kroch zu seinem Kittel, streifte ihn über den wunden Rücken, mühsam stand er auf.
»Wenn du mir aber den Ring bringst«, vielversprechend breitete der hagere Bettler die Arme, »dann, Jungchen, darfst du zu deiner Familie heimkehren. Und das willst du doch, mein Jungchen? Wir warten auf dich.«
Unsicher auf den Beinen, stolperte Tile in die Dämmerung davon. »Nie komm ich wieder her«, flüsterte er. »Nie, nie mehr. Ich brauch' keinen.« Je weiter er sich entfernte, um so lauter schimpfte er gegen Schmerz und Unglück an: »Ich hasse dich, Vater Jakob. Ich hasse dich, Elsa! Alle hasse ich!«
Aus Furcht, daß der Bettler ihm Elsa nachschickte, schlug der Siebenjährige nicht die Richtung übers Feld ein; sein Schatz war sicher verwahrt. Diesmal wanderte er am Zeltlager der königlichen Truppen vorbei zur Stadt.
Oben auf dem Burgberg wurden Fackeln entzündet. Schwach drang Musik herüber. Am Fuß der Stadtmauer kroch Tile zwischen den Abfall. Sollen mich doch die Wölfe fressen, dachte er, meinetwegen auch die Bären, ist mir gleich.
Ein Hund schlug an, andere fielen heiser ein.
Fest preßte Tile die Hände auf die Ohren. »Es gibt keine Wölfe«, tröstete er sich. Als das Gebell verstummte, nickte er: »Die kommen ja nur im Winter, ich weiß es.«
Den Kopf auf den Knien, horchte er ängstlich in die Nacht, bis ihn der Schlaf übermannte.