Riemenschneider

1. Kapitel

Wind kam auf. Er trieb eine Wolke vor sich her, eine Wolke aus Staub und Dornen … Lauter wurde das Brausen … Im Innern entstand Glut, sie wucherte, jetzt flimmerte der Staub, kleine Flammen sprangen aus den Dornenspitzen ... Ein Arm wuchs hinaus, die Hand öffnete sich, streckte den Zeigefinger ... Da brannte die Wolke, verbrannte der Arm, verglühte der Finger; ein Tropfen blieb … und fiel
Meister Til wischte über die Stirn, er hielt die Augen geschlossen. Stickig war die Luft in der Schlafstube. Es roch nach Schweiß Das Traumbild verließ ihn nicht. Wieder sah er das Flirren in der Wolke, hörte das Brausen. „Bescheide dich“, flüsterte er. „Kein himmlischer Bote, der Rat hat dir den Auftrag gegeben. Nur die Herren vom Stadtrat ...“ Neben ihm seufzte seine Frau Anna im Schlaf, drehte sich schwer zur Seite. Wie ertappt schwieg Til, erst als sie den Atem wieder geräuschvoll und gleichmäßig durch die Lippen blies, öffnete er die Lider. Durch die Ritzen der Schlagläden schimmerte grau der Morgen. Was für ein Tag! Durfte er das Wagnis eingehen?
„Nackt?“ „Ja, nackt sollen sie sein!“ Unvermittelt war Tumult in der Ratssitzung entstanden. „Nackte vor dem Eingang?“, ereiferten sich einige fromme Gemüter und erhitzten sich: „Unsere Marienkapelle ist kein Frauenhaus!“ Hohngelächter der anderen Stadtväter antwortete: „Nackt. Wie denn sonst?“
Mit erhobenen Händen versuchte der oberste Bürgermeister zu beschwichtigen, erst die Glocke verschaffte ihm Gehör: „Freunde! Werte Herren! Auch wenn das Wort erneut einige von uns erschreckt. Es muss so sein. Denkt doch ans Paradies, ans Feigenblatt.“ Geschickt nutzte er die Erleichterung. „Außerdem will ich ihn ohne Bart. Nicht nur der Meister, auch ich will es! Sein Vorschlag ist gut. Ja, jung sollen die beiden sein.“ Keine Proteste mehr, die Abstimmung brachte den Beweis, der Fortschritt hatte in Würzburg gesiegt. Und nur einer konnte das erste Menschenpaar erschaffen, darin waren sich die Herren nach wie vor einig.
Ohne seine Frau zu wecken, befreite sich Meister Til von der dünnen Zudecke, fand mit den Füßen die Maulschuhe, blieb aber auf der Bettkante sitzen. „Jetzt haben wir Anfang Mai“, rechnete er. „Vier Monate sind’s her. Keine lange Zeit für den Adam.“ Sicher, es wäre leicht gewesen, eine Figur angetan mit Gewändern aus dem Sandstein zu hauen, und noch leichter, wenn er Holz statt Stein bearbeitet hätte. Aber den bloßen jungen Leib? „Und für einen Moment glaubte ich …“ Er schüttelte über sich selbst den Kopf und schmunzelte. Damals war er noch abends spät, nur bekleidet mit dem Hausmantel, hinüber in die Werkstatt gegangen, hatte Lampen rechts und links des Spiegels gehängt und das Kleidungsstück abgelegt. Wähnt sich ein Mann von gut dreißig Jahren auch immer noch jung, der Blick des Künstlers entschuldigt keinen Makel. Til tätschelte seinen Bauch und lachte vor sich hin. „Nein, als Adam war ich mir zu unansehnlich.“
In seinem Rücken raschelte Stoff, die Matratze bebte. „Schäm dich!“ Mit dem Vorwurf reinigte sich die Stimme seiner Frau vom Schlaf, wurde spitzer: „Du freust dich wohl, kannst es erst gar nicht abwarten?“ Ein Aufstöhnen folgte. „O Heilige Mutter, wäre ich doch Witwe geblieben. Warum hast du es zugelassen, dass ich diesen Mann geheiratet habe?“
Meister Til bewegte sich nicht, er schwieg und wartete ab. Ihre Anklage war noch nicht beendet. Seit Tagen schon kannte er Satz für Satz und musste jeden über sich ergehen lassen, um nicht neue Sätze heraufzubeschwören.
„Holt sich ein Weib in die Werkstatt. Ein Bauernweib. Ich hoffe nur, dass mein Goldschmied, Gott hab ihn selig, dass mein Ewald heute nicht von oben zusieht wie das Laster in unser Haus einzieht. Du willst ein ehrbarer Schnitzer sein? Alle hast du getäuscht mit deinen Heiligenfiguren, mit der schönen Muttergottes für die Prozession.“ Ein Aufschluchzen, die Stimme sank von der Anklage zur Klage. „Und ich hab so fest an dich geglaubt, war stolz … stolz auf meinen Tilman Riemenschneider. Heute aber legt er die Maske ab. Und drunter steckt ein Lüstling …“ Der Satz erstickte im nächsten Schluchzer. Stille. Immer noch hütete er sich, etwas zu erwidern.
Frau Anna schlug mit den flachen Händen auf die Matratze, ihr Ton fand zur Schärfe zurück: „Wohin soll das führen? Erst müssen sich die Söhne meines Ewald vor dir ausziehen, meine drei Buben. Einer nach dem anderen. Aber sie waren dir nicht gut genug …“
„Zu dünn“, verbesserte er.
„Was?“
„Gut sind sie schon, aber sie sind mir zu dünn.“ Meister Til wandte den Kopf und sprach ins Halbdunkel zu dem hellen Fleck des Nachthemdes. „Nur deshalb hab ich den Gesellen genommen. Der Tobias, der ist so ein Adam, so wollte ich den Körper haben.“
„Und was ist an diesem Weib besser? Was hat sie, was du nicht auch bei mir sehen kannst. Sag es mir?“
„Du bist …“ Gerade noch rechtzeitig stockte er. „Weißt du, so eine Eva. Also, ich glaube nicht, dass der Schöpfer bei der Erschaffung der Menschen gleich solch eine reife Frau … Ich will sagen, dass du mir eine gute Frau bist, aber für die Eva …“
„Sag es doch! Ich bin zu fett.“ Sie rutschte zur unteren Bettkante, der Nachttopf schepperte, es kümmerte Anna nicht, mit bloßen Füßen stampfte sie um das Lager herum, neben Til hielt die mächtige Gestalt an. „Ausreden! Mal zu dünn, dann wieder zu alt und zu dick. Ich sag dir was, Mann: Schlecht ist es, was du heute vorhast und eine Sünde.“ Sie stieß die Tür auf und schlug sie hinter sich zu. Von draußen hörte Til noch: „Jawohl, eine Sünde.“
Das morgendliche Unwetter war vorüber. „Besser jetzt als nachher, wenn Magdalena da ist.“
Er stand auf, in wenigen Schritten war er am Fenster, schob es hoch und öffnete mit beiden Händen langsam die Schlagläden. Licht flutete. „Willkommen.“ Tief einatmend begrüßte er den klaren Morgen und kämmte mit den Fingern seine volle kupferfarbene Lockenmähne hinter die Ohren zurück. Unter ihm lag die Franziskanergasse noch im Schatten, auf den niedrigen Dächern gegenüber aber ließ die frühe Sonne den Tau funkeln. „Willkommen.“ Dieser Gruß galt nicht dem Tag. Als es ihm auffiel, stahl sich wieder ein Lächeln in die Mundwinkel. „Ich gestehe es ja: Ich freue mich wirklich.“
Magdalena. Letzte Woche hatte er wieder das Pferd gesattelt, zum dritten Mal nun schon im April. „Will nach unserm Weinberg sehen“, so hatte er sich von Anna verabschiedet, „und danach auf dem Land ein wenig freie Luft atmen.“ Erneut eine Ausrede, doch wie die beiden Male zuvor bemerkte es seine Frau nicht. Zu sehr war sie mit Haus und Kindern beschäftigt. Kurzatmig flocht sie der gemeinsamen siebenjährigen Tochter Gertrud die Zöpfe und sah nur flüchtig über die Schulter. „Der Ritt wird dir guttun. Bei all dem Staub in der Werkstatt wirst du noch krank.“ Und weil sie niemanden, ob nun Mann, Kind oder Geselle vom Hof Wolfmannsziechlein fortlassen konnte, ohne ihm einen Auftrag zu erteilen, setzte sie hinzu: „Aber bring uns einen Korb frisches Gras für die Hasen mit. Das vom Weinberg, das fressen sie so gern“
Er war zum Hauger Tor in den Tag hinaus geritten. An den Rebstöcken brachen die Knospen auf, zeigten ihr Hellgrün der Sonne. „Ich hoffe auf einen guten Sommer. Für den Wein und auch für mich.“ Keinen Blick verschwendete er fürs Hasenfutter und lenkte das Pferd weiter. „Bis zur Lese muss ich meinen Auftrag erfüllt haben.“
Heute nahm er sich vor, dem großen Lehnshof nahe Unterpleichfeld einen Besuch abzustatten. Oben auf der Höhe ließ er das Pferd traben. Seine Eva wollte er finden; eine die unschuldig war oder wenigstens so aussah. „Unter den heiratsfähigen Jungfrauen in der Bürgerschaft gibt’s bestimmt die eine oder andere.“ Er rundete die vollen Lippen und schüttelte den Kopf. Allein schon die Frage wäre ein unsittlicher Antrag und hätte in Würzburg einen Skandal ausgelöst.
„Welch eine Ehre. Der berühmte Bildschnitzer in meinem Haus.“ Freundlich wurde er vom Verwalter begrüßt und bewirtet. Nur zu gern ließ sich Meister Til herumführen, lobte die Sauberkeit von Küche und Stallungen, während er unauffällig die Mägde betrachtete. Keine jedoch entsprach seiner Vorstellung. Auf dem Rückweg durchs benachbarte Tal nagte Zweifel an ihm. „Du willst zu viel. Der Fehler liegt bei dir. Eva ist nicht unschuldig. Das ist es.“ Gleich kamen ihm die Dirnen in Paulsen Wolfs Haus in den Sinn. „Für Geld stellt sich mir jede von denen zur Verfügung.“ Nein, Gott bewahre, so eine darf ich meinem Adam nicht geben.
Ratlos, in Gedanken versunken ritt er an einem ärmlichen Gehöft vorbei. Hühner flüchteten, ein Hund kläffte den Reiter an. Kaum nahm er es wahr. Hinter dem kleinen Haus führte der Weg wieder dichter am Bach entlang. Das klatschende Geräusch ganz in der Nähe schreckte ihn auf. Mit dem Rücken zu ihm stand eine Frau im seichten Wasser und schlug die Wäsche. „Gott zum Gruß.“
Sie wandte sich um und schaute auf. Ihr Blick war der Anfang gewesen. Meister Til stützte beide Hände auf den Fenstersims und beugte sich vor. Niemand stand unten in der Gasse. „Es ist noch zu früh“, ermahnte er sich. Erst nach dem Morgenläuten werden die Stadttore geöffnet. „Der Bauer wird Wort halten, er wird seine Frau schon herbringen.“
Weil er nicht mehr gefragt hatte, wusste er nicht viel von Magdalena, nur dass sie erst im vergangenen Winter geheiratet hatte, dass sie zweite Frau des Bauern war und dass trotz harter Arbeit kaum genug zum Leben übrig blieb. Angesehen hatte er sie. Keine strahlende Schönheit, aber Frau in jeder Geste, dennoch nicht erfahren. „Willst du mir Modell stehen?“
Sie hatte vorsichtig gelächelt und mit dem Lächeln glitt helle Unschuld über ihr Gesicht, ließ das Grünblau der Augen aufleuchten. „Was heißt das?“ Doch als sie begriff, erlosch das Strahlen. „Ich bin nicht so eine, Herr.“
„Dann hätte ich auch nicht gefragt.“ Schwungvoll stieg Meister Til vom Pferd. Zu eilig, denn gleich hastete sie aus dem seichten Wasser und zog sich einige Schritte in Richtung des Bauernhauses zurück.
„So bleib doch. Bitte!“ Der warme Klang seiner Stimme ließ Magdalena zögern. „Es soll die Eva sein. Vor dem Südportal der Marienkapelle wird sie stehen, zusammen mit dem Adam.“
„Aber ich kann mich doch nicht so vor allen Leuten zeigen. Ich mein, so ohne was ...“
„Das musst du auch nicht.“ Er bemühte sich, ernst zu bleiben, und zeigte ihr seine offenen Hände. „Ich werde ein Abbild von dir aus Stein schaffen.“ „Aber, Herr, wir leben hier. Und wenn unsere Nachbarn in Würzburg auf dem Markt sind und vor dem Heimweg schnell noch beten wollen? Dann erkennen die mich doch an der Tür von der Marienkapelle.“
„Nein, hab keine Furcht. Ich werde dein Gesicht verändern. Niemand wird dich in der Eva sehen. Außer deinem Mann …“, er zögerte, „ … und mir.“ Mit gewinnender Aufrichtigkeit setzte er hinzu. „Und ich betrachte dich nur mit den Augen eines Bildschnitzers.“
Eine Weile prüfte Magdalena sein Gesicht. „Ich muss fragen. Wartet, Herr.“ Bald kam sie zurück. Wenige Schritte hinter ihr folgte der Bauer. Jakob Lebart, ein ausgemergelter Mann, fast doppelt so alt wie Magdalena, tief lagen die Augen in den Höhlen. „Reitet weiter, Herr. Für so was hat meine Frau keine Zeit. Wir müssen arbeiten. Die Pfaffen vom Kloster nehmen uns fast alles weg …“
„Ich zahle einen Gulden.“
Der Bauer ballte die Faust, starrte den Fremden an. „Treibt keinen Scherz mit uns.“
„Mein Wort. Ich zahle einen Gulden, wenn deine Frau nach Würzbug zum Hof Wolfmannsziechlein in die Franziskanergasse kommt und mir Modell steht. Vielleicht benötige ich sie zwei Tage, mehr nicht. Überlege es dir.“
„Wenn es wahr ist, Herr, dann gibt es nichts zu überlegen.“ Jakob betastete mit beiden Händen seine Wangenknochen, als wolle er sichergehen, dass er nicht träume. „Das ist mehr, als wir im ganzen Sommer vom Feld heimbringen. Sagt, dass es wahr ist, Herr.“
Meister Til nahm einen Schilling aus der Gürteltasche und reichte ihn dem Bauern. „Nimm, mein Freund. Nur zum Beweis, dass ich es ehrlich meine. Den Gulden gibt es dennoch.“ Er stieg wieder in den Sattel. „Sorge dafür, dass deine Frau nächste Woche zu mir in die Werkstatt kommt. Das ist der erste Dienstag im Mai.“
„Du kannst dich auf uns verlassen, Herr.“ Jakob hatte den Schatz zwischen den schwieligen Fingern gerieben. „Ich … ich werde Magdalena selbst hinbringen.“ Sie sagte nichts zum Abschied, hob nur das Gesicht zu ihm auf, und Til hatte ihr Lächeln als Versprechen mit auf den Heimritt genommen.
„Erst eine Woche ist es her.“ Unmerklich schüttelte er den Kopf. „Kaum zu glauben, aber mir ist, als kenne ich sie schon seit langem. Als wäre bei der kurzen Begegnung ihr Bild in mir erwacht …“
Draußen vor der Schlafkammer hörte er eilige Schritte. „Vater!“, rief Gertrud, stieß die Tür auf. „Vater! Schnell!“ Die Tochter war bei ihm, schluckte und schluchzte: „ Komm schnell … Mama blutet.“
Mit hastigem Griff hob Til das Mädchen auf, war schon unterwegs. „Wo, Kind? Wo ist die Mutter?“
„In der Küche.“ Die Kleine verbarg das Gesicht an seiner Brust. „Und Mama schnauft so.“
Die Wendeltreppe vom ersten Stock hinunter, zwei Stufen auf einmal, nur die linke Hand am Geländer gab Sicherheit, der lange Flur zum hinteren Teil des Hauses war düster, weit stand die Küchentür offen.
„Anna!“
Immer noch mit dem Nachthemd bekleidet hockte sie in sich zusammengesunken nahe dem Tisch auf einem Stuhl, den Kopf über die ausladende Wölbung der Brüste geneigt, schlaff hingen die Arme, ihre rechte Hand stützte sich schwach auf den Blasebalg neben dem ausgestreckten nackten Bein. Blut quoll aus einer Wunde am Knie, aderte langsam über Schienbein und Wade und stockte schon an der Fessel.
Erleichtert setzte Til das Mädchen ab. „Meine gute Anna.“
Keine Antwort. Behutsam näherte er sich und legte die Hand auf ihre Schulter. „Was ist dir?“
Der mitfühlende Ton flößte Leben ein. „Das Herz, es ist das Herz“, flüsterte sie. „Erst war es nur ein Stich wie bei der Pfingstprozession, weißt du noch … Und vorhin wollte ich gerade das Feuer anblasen, da stach es immer wieder, so mitten in die Brust. Vor Schmerz bin ich gegen die Ecke vom Herd gestoßen … Ach, Liebster.“ Sie wandte den Kopf, schmiegte die Wange an seine Hand. „Dann ist mir ganz schlecht geworden.“
Das Kind staunte mit geweiteten Augen die Eltern an. Til sah die Angst, wollte beruhigen, unterließ es aber, weil jedes Leid seiner Frau, und sei es auch noch so klein, nicht rasch geschmälert werden durfte. So gab er Gertrud den Auftrag, das Riechfläschchen drüben aus dem Wandregal herzubringen und den Kork herauszuziehen. „Nun halt es der Mutter unter die Nase. Aber vorsichtig.“ Beißender Geruch vermischt mit Lavendel breitete sich in der Küche aus. Anna nahm nur einen Atemzug der Dämpfe, ihr Kopf fuhr zurück. „Weg damit, Kind.“ Sie kniff die Augen zusammen, rang vergeblich nach frischer Luft. „Willst du mich vergiften?“ Husten folgte. „Weg damit. Sofort. Hörst du!“ Nun völlig verwirrt begann Gertrud zu weinen. Der Vater nahm ihr das Fläschchen vorsichtig aus der Hand und verschloss es wieder. „Du hast der Mutter geholfen“, tröstete er leise. „Nun ist sie wieder gesund.“ Damit ging er durch die Küche und stellte das Riechsalz zurück an seinen Platz. Als er sich umwandte, war Gertrud hinausgelaufen. Anna saß aufrecht da, den Blasebalg an die Brust gepresst, empfing sie ihn mit wehem Blick. „Tu es nicht, Mann! Ich bitte dich, lass kein fremdes Weib in deine Werkstatt.“
Eine steile Falte wuchs ihm zwischen den Brauen. „Es ist entschieden. Und damit soll es gut sein.“
„Wie redest du mit mir?“ Ihr Busen hob und senkte sich. „Alles was du besitzt hast du von mir und meinem seligen Ewald. Das Haus, die Werkstatt. Und Meister bist du nur geworden, weil ich erlaubt habe, dass du mich heiratest …“ „Genug jetzt, Anna! Nicht schon wieder.“ Er schloss die Augen, versuchte den Zorn zu unterdrücken. „Versteh doch: Adam und Eva sind mein erster großer Auftrag vom Stadtrat. Ich muss und werde das Menschenpaar aus dem Stein hauen, so schön wie es noch nie vorher geschaffen wurde. Und nur damit die Arbeit gelingt, kommt Magdalena heute hierher.“
„Wie du den Namen schon sagst …“
„Bitte schweig! Wenn du weiter streitest, habe ich nachher keine ruhige Hand. Dann muss sie häufiger kommen, als wir ausgemacht haben.“
Diese Bedrohung zeigte Wirkung. Anna öffnete und schloss wortlos wieder den Mund.
Ohne den kleinen Sieg auszukosten, fragte er: „Soll ich dein Knie verbinden?“ Sie schüttelte den Kopf. „Beeile dich, sonst hast du nur das Hemd an, wenn diese …“ Nein, kein neuer Vorwurf, tapfer ergänzte sie: „Gleich kommen die Mägde und deine Gesellen vom Speicher runter, auch meine Buben. Ich muss das Feuer anfachen für den Brei.“ Das Leid schwang in der Stimme mit. „Ankleiden muss ich mich. Und meine Wunde versorge ich selbst. Ach, Riemenschneider, was für ein trauriger Morgen.“
Alle Hausbewohner hatten sich im geräumigen Speisesaal um den Tisch versammelt. Mit gesenktem Kopf, Nase und Lippen berührten die zusammengelegten Hände, lauschten sie dem Gebet. Meister Til sprach langsam und fest, sein „Amen“ schwang kräftiger als gewöhnlich zur getäfelten Decke hinauf. Stumm nahm jeder seinen Platz ein. An den Kopfenden saßen sich Hausfrau und Hausherr gegenüber. Gertrud hockte links der Mutter, die drei schmalbrüstigen Söhne zu ihrer Rechten, zwei von ihnen spross bereits dichter Flaum an Oberlippe und Kinn, im Gesicht des dreizehnjährigen Jüngsten glühten die Mitesser.
Warten, bis der Vater sich genommen hatte. Und er verlangte von jedem Geduld, achtete streng auf die Sitten bei Tisch: Wer sich zu gierig benahm, der musste aufstehen, der durfte erst nach der Mahlzeit essen, was übrig geblieben war. Dies war die Regel, doch bisher hatte niemand die Strafe vollends abbüßen müssen. Stets hatte ihn nach kurzer Zeit ein mitleidiger Wink wieder zurück auf den Hocker befohlen. So verlockte das väterliche Gebot zum Ungehorsam. Den Blick fest auf ihn gerichtet schoben Gertrud und der jüngste Bruder so unauffällig wie möglich ihre Essnäpfe zur dampfenden Schüssel hin. Von den vier Mägden neben ihnen drohte kein Verrat, auch nicht von den älteren Brüdern. Tobias und die beiden anderen Gesellen unterstützten sogar das Spiel, beugten sich vor und behinderten die freie Sicht über den Tisch. Endlich stellte der Meister seine gefüllte Schale vor sich hin, da schnappten die Finger gleichzeitig nach der Kelle. Der Bruder umklammerte als Erster den Stiel, und wie immer hatte Gertrud verloren. „Du bist gemein.“ „Still!“, ermahnte die Mutter. Mit erhobener Hand drohte sie ihrem Sohn, nahm den Schöpfer an sich und teilte den Brei aus.
Eine Zeit lang schabten nur die Löffel in den Holznäpfen, dann räusperte sich Meister Til vernehmlich. „Wie ihr wisst, erwarte ich heute eine Frau. Eine Bäuerin.“ Er sah in die Runde. „Sobald sie da ist, darf keiner von euch mehr die Werkstatt betreten. Habt ihr mich verstanden: Ich will keine Störung.“ „Aber, Riemenschneider …“ Anna schnaufte, verschluckte den Satz und presste die Lippen aufeinander.
„Aber, Meister“, neben ihm warf Tobias mit Schwung das dunkle Lockenhaar zurück, „ich muss doch dabei sein. Du hast mir versprochen, dass ich bei der Eva mitarbeiten darf …“
„Zur Hand gehen“, verbesserte er, „nur zur Hand gehen, und das wirst du auch. Aber glaub nicht, weil du der Adam bist, wärst du schon so weit, die Eva zu schaffen. Nein, keine Widerworte. Ich weiß, was ich sage.“ Til fasste ihn an der Schulter, wohlmeinender Spott schwang im Ton mit: „Aber du sollst für deine Eva sorgen. Geh rüber und entzünde Feuer. Nicht in der Steinhalle. Die Schnitzwerkstatt wird schneller warm.“
Gehorsam verließ Tobias den Tisch, war schon an der Tür, als der Meister ihm nachrief: „Und stell das Zeichenbrett auf. Denk auch an genügend Papier!“ Ein Blick hinüber zu seiner Frau. Anna stemmte bereits beide Fäuste auf die Tischplatte, schnell wandte er sich an die anderen Gesellen: „Ihr werdet heute Zeit haben, das Steinlager beim Stall aufzuräumen und zu ordnen. Die großen Blöcke kommen nach hinten. Deckt sie nachher gut mit den Leinenplanen ab.“ Seine Frau hob und senkte den Busen. Er ließ keine Pause: „Wenn Tobias zurück ist, beginnt ihr. Und haltet mir die Knaben in Schach. Ich will nicht, dass sie zu den Werkstattfenstern hochklettern. Das Beste wäre, ihr fangt die kleinen Teufel gleich am Tor ab, sobald sie auftauchen. Nehmt sie mit zu den Steinen. Schadet nichts, wenn sie vom Arbeiten mal Blasen an den Händen bekommen. Und merkt euch, wer von ihnen der Fleißigste ist, den nehme ich vielleicht zum neuen Lehrbuben. Und …“ Weil ihm kein weiterer Auftrag für die Gesellen einfiel, hielt er inne, ergeben sah er über die Breischüssel hinweg zum jenseitigen Tischende. „Verzeih, meine Liebe, du wolltest etwas sagen.“ „Es ist warm. Wir haben Anfang Mai. Draußen scheint die Sonne.“ Anna bemühte sich ruhig zu sprechen. „Darf ich fragen, wieso du die Werkstatt heizen lässt? Holz ist teuer und Kohle erst recht.“
„Das ist wahr“, nickte er zustimmend, gab aber keine Antwort, stattdessen stand er auf und blickte zur Decke. „Lasst uns danken!“
Sofort erhoben sich Kinder, Mägde und Gesellen, sichtlich schwer fiel es der Hausfrau, die Empörung niederzukämpfen, doch schließlich wuchtete sie schweigend den fülligen Leib aus dem Lehnstuhl. Das Frühmahl war beendet.